Geschichte des Vereins

Am Abend des 29. November 1990 saßen in den Räumen des Deutschen Freidenker-Verbandes im ComCenter in Halle (Saale) über mehrere Stunden Männer verschiedenen Alters zusammen und gründeten den Verein Begegnungs- und Beratungs-Zentrum "lebensart".


Die Vorgeschichte
> Vortrag (PDF) von Ants Kiel auf der Kooperationsveranstaltung "40 Jahre LSBTI*-Organisationen auf dem Gebiet von Sachsen-Anhalt" am 20.10.2023

Auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni 1983 in Eisleben entstand die Idee, einen Arbeitskreis Homosexualität in der Mansfelder Region zu etablieren. Da Treffen außerhalb der Kirche nicht möglich waren, fand am 12. Oktober 1983 das erste Treffen im Gemeindehaus der Petri-Kirche in Eisleben statt. Aufgrund geringer Teilnehmenden-Zahl traf sich der Arbeitskreis seit Mai 1984 zu offenen und Themenabenden in Halle (Saale) - zunächst in der Paulus-Gemeinde und ab Mai 1985 als Arbeitskreis Homosexualität bei der Evangelischen Stadtmission. Trotz staatlicher Überwachung und sehr begrenzter Öffentlichkeitsarbeit stieg von Jahr zu Jahr die Zahl der Besucher*innen. Auch gesellige Angebote wie Discos (1986/87 in der Stadtmission, 1987/88 im Keller der Christusgemeinde, ab 04.06.1989 im JKH "Philipp Müller"/Schorre) und Schiffsfahrten wurden organisiert. Seit Ende 1988 bot der Arbeitskreis zudem ein vertrauliches Beratungsangebot zu HIV und AIDS an.
Das Bestreben einer nicht-kirchlichen Anbindung konnte nach langjährigem Widerstand von staatlichen Organen erst 1989 Gestalt annehmen. Im Januar 1990 fand in einem Klub in Halles Innenstadt das erste Arbeitskreis-Treffen unter dem neuen Namen "Nicht nur Lesben- und Schwulen-Treff" (AK "LUST") statt.
Seit Ende der 1980er Jahre gab es in Halle Aktivitäten weiterer homosexueller Männer, welche in der Gründung der Arbeitsgruppe "Toleranz" beim Freidenkerverband am 23. Oktober 1989 im Jugendclub Silberhöhe mündeten. Diese gut besuchte AG führte wie der Arbeitskreis Homosexualität Veranstaltungen sowie gesellige Aktivitäten durch und bot das DDR-weit erste Vertrauenstelefon zur Homosexualität an. Beim Freidenkerverband Halle wurde im Frühjahr 1990 zudem das Referat AIDS gegründet.
Von Beginn an gab es zwischen dem AK "LUST", der AG "Toleranz" sowie dem AIDS-Referat eine engere Kooperation, so dass Mitte 1990 die Idee entstand, ein gemeinsames Dach bzw. Zentrum in Halle zu schaffen. Unter Federführung von Utz Lohrengel, Klaus-Dieter Dehnert, Ronald Preuß und Ants Kiel wurde diese Idee konkretisiert und Ende 1990 mit den Gründungen der Vereine BBZ „lebensart“ und AIDS-Hilfe Halle die Grundlagen für ein Gemeinschaftsprojekt gelegt.


Die Jahre 1991 bis 1993
Im ersten Halbjahr 1991 bot das BBZ "lebensart" e.V. Treffen und Beratung in der Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen (damals im Hansering 1) an. Im Sommer 1991 konnten als Gemeinschaftsprojekt mit der AIDS-Hilfe in der (inzwischen abgerissenen) Magdeburger Straße 34 eigene Räumlichkeiten bezogen werden. Die Traditionen thematischer Abende am Freitag und von Ausflügen wurden beibehalten, hinzu kamen ein offenes Café, eine Bibliothek, das Schulprojekt (seit Januar 1991), eine Lesbengruppe (Anfang 1991 - allerdings nur für kurze Zeit), das S.C.H.I.R.M.-Projekt (August 1991 - nach ein paar Monaten Trägerwechsel zur AIDS-Hilfe), die Schwul-Lesbischen Filmtage (seit 1992) und die Zeitschrift "homo sum" (seit März 1993).
Auch Discos fanden in Kooperation mit dem Verein statt: in der Schorre, im Studentenklub "Heimleuchte" (Scheibe A in Halle-Neustadt), im (inzwischen abgerissenen) Klubhaus Ammendorf und im Jugendklub Silberhöhe. Aufgrund der Erweiterung der AIDS-Hilfe und des S.C.H.I.R.M.-Projektes rückten Räume ausschließlich für den Verein ins Blickfeld. Im Sommer 1993 erfolgte dann der Umzug in den Joliot-Curie-Platz 29/30.


Die Jahre 1993 bis 2000
Diese Jahre setzten vor allem in den Bereichen Begegnung und Beratung dank der Koordinatoren-Stelle und ABM-Mitarbeiter*innen neue Akzente. Bis 1995 konnten die Öffnungszeiten auf fast täglich erweitert werden. Ab 1994 wurden die Beratungsangebote um eine anonyme Telefonberatung erweitert und ein ComingOut-Projekt, in dessen Rahmen sich erstmals eine Jugendgruppe traf, startete bereits 1993.
Mitte der 1990er Jahre gab es neben den Filmtagen die "Filmklappe" und den Film-Ball sowie Lesungen, Kochen in der Villa Jühling und wieder mehr politische Tätigkeit (insbesondere beim landesweiten Runden Tisch). Das Projekt "Toleranz zeigt sich im Handeln" veröffentlichte eine Broschüre - im TURM fand dazu eine gut besuchte Veranstaltung statt.  Ein Jahr nach dem Umzug im Sommer 1996 in die Schmeerstraße 22 stand ein Höhepunkt an, bei dem das BBZ "lebensart" federführend die Organisation und Durchführung innehatte: der erste Christopher Street Day in Halle vom 13. bis 15. Juni 1997. Das bunte CSD-Straßenfest auf dem Marktplatz, eine Demonstration durch Halles Innenstadt und die anschließende politische Diskussion mit ca. 100 Leuten im Kino 188 sind vielen noch in guter Erinnerung.


Die Jahre 2000 bis 2008
Highlights in diesen Jahren waren zweifellos die acht SchwuLesBischen Straßenfeste, welche der Verein seit 2001 in Eigenverantwortung organisierte. Die Feste fanden bis 2008 (mit Ausnahme 2004 auf dem Hallmarkt) auf dem Alten Markt statt. Im Jahr 2003 bezog das BBZ "lebensart" Räume im Hinterhaus der Oleariusstraße 9.
Sehr aktiv in diesen Jahren waren die Lesbengruppe und die Jugendgruppe, die beide vielfältige Aktivitäten entfalteten. Die Golden Gays (Treff für schwule Männer über 40) erlebten Mitte der 2000er ihre Blüte. Auch das Aufklärungsprojekt intensivierte seine Aktivitäten, konzeptionelle Arbeit wurde geleistet und im Jahr 2004 gab es im Bildungsbereich eine Kooperation mit Dornrosa e.V./Frauenzentrum Weiberwirtschaft.


Seit 2009
"Komm! Ins Offene" - so lautete das Motto des internationalen Theaterfestivals, welches 2008 in Halle stattfand. Aktive aus dem Verein kamen vom Zentren-Treffen aus der Akademie Waldschlösschen mit einer konkreten Idee zurück. Im April 2009 bezog der Verein dann getreu des Mottos Räume in einem Ladenlokal in der Beesener Straße 6. Neu im Jahr 2009 war die gleichberechtigte Kooperation von vier queeren Vereinen in Halle, gemeinsam einen CSD zu veranstalten. Er fand bei bestem Wetter und guter Resonanz auf dem Marktplatz statt.
Trotz weiterer Kürzungen der staatlichen Basis-Förderung konnten ab 2009 dank der neu geschaffenen Kommunal-Kombi-Stellen die Angebote der Bildungsarbeit und Infothek ausgebaut werden. Wir erweiterten in der Bildungsarbeit den thematischen Fokus: Neben sexuellen Orienterungen wird seit 2011 die geschlechtliche Vielfalt/Identität einbezogen. Auch in der Beratung wurde dieser Bereich seit Ende der 2000er Jahre verstärkt bei uns nachgefragt und nimmt inzwischen den Großteil in der Beratung/Unterstützung ein.


Profilierung zum Fachzentrum für geschlechtlich-sexuelle Identität
Auf einer Klausur im Jahr 2011 wurden die Ziele und Angebote des Vereins auf den Prüfstand gestellt. Es wurde entschieden, den Fokus noch mehr auf jene Schwerpunkte zu legen, an denen Nachfrage sowie Bedarfe bestehen und welche von unseren Zuwendungsgebern anerkannt/gefördert werden. Dies sind die Bereiche Bildungsarbeit, Beratung, Projekte, Gruppen und Koordinierung. Seitdem sind das Fachzentrum und die Begegnungsstätte die beiden Säulen des Vereins.
Seit 2011 sind die Nachfragen für die Beratungen und Bildungsarbeit deutlich angestiegen und auch bei den Gruppen gab es in den 2010er Jahren einen neuen Schub. Seit Dezember 2018 ist zudem die LSBTI*-Landeskoordinierungsstelle Sachsen-Anhalt Süd (Fachstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt) beim BBZ lebensart e.V. angegliedert.

Im Jahr 2024 ist die Zahl der beim BBZ lebensart beheimateten Gruppen und Treffen auf 12 gestiegen, wobei insbesondere die Gruppe für queere Geflüchtete/Migrant*innen einen hohen Zulauf erlebte. Im Oktober startete ein Verbundprojekt mit der Universität Halle zu Fortbildungen zur Stärkung der Diversitätssensibilität (ForDiSens) für Lehrkräfte mit Fokus auf Queerfeindlichkeit und Sexismus beim BBZ lebensart als Praxis-Organisation.


Wir danken allen, die in unserem Verein und Fachzentrum aktiv waren und sind - und auch jenen, die unsere Arbeit darüber hinaus auf vielfältige Weise unterstützen!